Interview mit Shadia Abdelmoneim zur Situation im Sudan

Fur den SudanDie aktuelle Lage im Sudan ist weiterhin prekär und unsicher. Das Abkommens zwischen dem Militärrat und der zivilen Opposition wurde inzwischen unterzeichnet. Aber niemand weiß, wie es umgesetzt werden wird. Es scheint so, dass auf Zeit gespielt wird. Margret Otto, erste stellvertretende Vorsitzende des FNF, hatte die Gelegenheit mit Shadia Abdelmoneim zu sprechen, die sie vor vier Jahren bei der Organisation SIHA (STRATEGIC INITIATIVE FOR WOMEN IN THE HORN OF AFRICA) in Khartum kennengelernt hat. Shadia lebt inzwischen in Berlin und ist aktiv bei der Unterstützung des Kampfes der Opposition im Sudan, die für die Machtübergabe an eine zivile Regierung kämpft. Im Sudan ist Shadia Abdelmoneim Mitglied der Women's Union und anderer Frauen- und Menschenrechtsorganisationen. Sie geht auch auf die besondere Bedeutung eines Regierungswechsels für die Frauen im Sudan ein.

Shadia, wie kam es zu der aktuellen Situation in Sudan?

Im Januar 2018 veröffentlichte das jetzt abgesetzte Regime die Haushaltsbilanz und da wurde deutlich, dass der Staat bankrott ist. Uns als Bürgerinnen und Bürger der politischen Community wurde sehr klar, dass wir alle unter diesen Bedingungen zugrunde gehen würden. Die Krankenhausversorgung, die medizinische Versorgung, die Lebensmittelversorgung, alles war zusammengebrochen.

Die Banken waren nicht mehr in der Lage, den Menschen, die dort Konten hatten, ihr Geld auszuzahlen. Deshalb gab es große Demonstrationen. Von dem Zeitpunkt an war klar, dass das Regime am Ende war. Für 2019 konnte gar kein Haushaltsplan mehr aufgestellt werden. Es gab überhaupt keine Ressourcen mehr. Es gibt keinerlei Einkommen und auch keinerlei Produktion mehr im Land. Das Regime hat in den Jahrzehnten seiner Herrschaft die Industrie und die landwirtschaftliche Produktion zerstört. Und wir exportieren alles, was überhaupt exportiert werden kann. Die Menschen in den großen Städten begannen unter Hunger zu leiden. In Ad Damazin, der Hauptstadt der Provinz Blue Nile, wurden die Schülerinnen und Schüler am Morgen von der Schule wieder nachhause geschickt, weil sie hungrig waren und es kein Brot in der Schule für sie gab. Daraufhin demonstrierten die Schülerinnen und Schüler und das sprang über in viele andere Städte im Sudan. Das Regime begann sehr gewaltsam gegen diese Demonstranten vorzugehen. Weil die Menschen wussten, dass es nur noch die Lösung gibt die Regierung abzusetzen, kam es wieder überall zu großen Demonstrationen.

Seit 2014 organisierten sich die verschiedenen Berufsgruppen immer mehr und beteiligten sich auch an einer großen Demonstration im September 2014, die vom Regime gewaltsam unterdrückt wurde. Über 100 Menschen wurden dabei getötet. 2016 wurde ein stabiles Bündnis aufgebaut und trat auch öffentlich auf. Es bestand vor allem aus der Gruppe der Ärzte, die auch in der ersten Reihe der öffentlichen Proteste stand. Die Krankenhäuser waren so schlecht ausgestattet, dass die Ärzte dort nichts mehr hatten, womit die Patienten behandeln konnten. Dann übernahm das Regime auch noch das älteste Krankenhaus in Khartum für eigene Zwecke. Das Komitee der Rechtsanwälte und der Lehrer und Lehrerinnen und das Netzwerk der Apotheker traten ebenfalls in die Organisation ein. Einige der Personen, die in der Plattform sind, gehören zu politischen Parteien, andere nicht. Alle zusammen bereiteten ein Memorandum vor, in dem sie darstellen, was ein Individuum zum Leben braucht. Das basierte auf einer wissenschaftlichen Studie. Dieses Memorandum wollte das Bündnis verbunden mit einer Demonstration der Regierung übergeben. Aber zu diesem Zeitpunkt gingen schon viele Studenten und andere Menschen auf die Straße und zum Sitz der Regierung, um zu demonstrieren. Die Menschen übten Druck auf das Bündnis und die politischen Parteien aus, weil es sich jetzt nicht mehr nur um ökonomische Forderungen, sondern auch um politische Forderungen handelte. Es war höchste Zeit in dieser Krise politisch zu handeln und nicht nur ökonomisch. Wenn es keine politische Lösung gibt, dann wird es keine Lösung geben, denn im Grunde begann die Krise schon vor 30 Jahren mit der Machtübernahme dieses Regimes.

So veränderte das Bündnis seine Forderungen von ökonomischen zu politischen. Es setzte sich zusammen mit den politischen Parteien und sie verfassten ein Memorandum unter dem Titel: Freiheit und Wandel, das 10 Hauptartikel enthält. Die Hauptforderung war: das Regime muss zurücktreten. Dieses Memorandum konnte alle beteiligten Gruppen und Parteien unterschreiben. So begannen eine Reihe von Demonstrationen, die das Regime versuchte zu unterdrücken, aber der Widerstand der Menschen war zu stark. Für den 6. April, dem Jahrestag der Revolution im Sudan, wurde in diesem Jahr zu einer Demonstration aufgerufen. Weltweit demonstrierten Sudanesinnen und Sudanesen mit der Forderung nach einem Rücktritt des Regimes. Die Demonstranten überwanden friedlich die Waffen und das Militär, das aufgezogen war und kamen zum Hauptquartier der sudanesischen Armee in Khartum. Es begann das wochenlange Sit-in. Bei den verschiedenen Diskussionsforen ging es immer um die Forderungen des Memorandums nach Freiheit und Wandel, die von allen diskutiert wurde. Dort waren Tausende und Abertausende Sudanesen und Sudanesinnen, die das Memorandum unterstützten.Shadia und Margret

Welche Schwierigkeiten gibt es jetzt bei der Bildung einer neuen Regierung?

Da passierte etwas, das m.E. keine gute Entwicklung war. Noch während des Sit-ins, als die Menschen schon fast ihr Ziel des Sturzes der Militärherrschaft erreicht hatten, begannen einige Personen aus politischen Parteien mit dem Regime zu verhandeln. Sie waren in Kontakt mit der internationalen Politik und der Troika und der Militärrat. Der ließ zwar El Bashir zurücktreten, aber sie sind selbst Teil des Regimes. So begann ein Verhandeln. Bashir tritt zurück, aber der Militärrat behält seine Macht und bildet die Regierung. Die Islamische Front, die bisher die Regierung gestellt hat, will auf keinen Fall die Macht abgeben, denn sie wissen genau, wenn sie die Macht jetzt verlieren, haben sie sie für immer verloren. Denn diese Generationen, die sie 30 Jahre lang ertragen mussten, werden sie 30 Jahre lang nicht wiederwählen. Deshalb kämpfen die so zäh um die Macht. Und die politischen Parteien, die angefangen haben mit dem Regime zu verhandeln, geben ihnen damit eine Möglichkeit an der Macht zu bleiben. Es wird so getan, als würde man verhandeln, aber in Wirklichkeit ist es nur Zeit schinden, um die Macht zu behalten, sich zu reorganisieren und wieder zu regieren. Sie benutzen dazu die Milizen von Hemedti um sich als besser darzustellen.

Für mich bedeutet das, entweder wissen die Vertreter der politischen Parteien nicht, dass nur auf Zeit gespielt wird, oder es ist ihnen egal. Wir wissen, dass alle Verträge und Absprachen mit Vertretern des politischen Islam nichts wert sind, sie halten sich nicht daran. Sie machen, was sie wollen. Sie schießen einen Vertrag mit dir und machen das Gegenteil, von dem was Inhalt des Vertrags ist.

Wie ist die internationale Reaktion?

Es gibt viele Versuche der AU die Verhandlungen zu beeinflussen. Aber die haben eigene Interessen und sie sind nicht auf der gleichen Linie, wie das Bündnis für Freiheit und Wandel. Nigeria, Äthiopien und Südafrika haben unterschiedliche Interessen im Sudan ebenso wie Tschad und Ägypten. Die AU kann deshalb nicht offiziell ein Abkommen abschließen, das die Interessen und Bedürfnisse des sudanesischen Volkes trifft. Die AU hat eigene Interessen an dem Erhalt des Militärrats. Und ich denke, dass auch die Troika (EU, EZB, IWF) und die EU besonders die jetzige Militärregierung unterstützen werden, denn sie wollen Kontinuität und Ruhe im Sudan. Aber vielleicht werden sie gezwungen sein, den Forderungen der Sudanesen und Sudanesinnen zu folgen. Sie kennen den sudanesischen Charakter nicht. Wenn sie sagen, wir wollen eine zivile Regierung und wir wollen, dass diese Regierung die politische Macht bekommt, werden sie 100 Jahre lang dafür kämpfen. Wenn die Internationale Gemeinschaft wirklich Frieden und Nachhaltigkeit im Sudan will, dann muss sie für dieses wichtige Land im Afrika dem Wunsch des sudanesischen Volkes folgen. Sonst werden die Menschen sich Waffen beschaffen und kämpfen. Deshalb sollten diese Länder auf der Seite des sudanesischen Volkes sein und nicht auf der Seite des Militärs. Ich denke, dass die jetzige Situation im Sudan mit der Kontrolle wichtiger Bereiche durch die Janjaweed, die ständigen Einflussnahmen von Saudi-Arabien, Ägypten, Emirat und der Tatsache, dass die Menschen unter der ökonomischen Situation leiden und es keine von der Bevölkerung akzeptierte Regierung im Sudan gibt, zu einer weiteren Verschlechterung führen wird. Es wird mehr Töten, mehr Verletzungen von Menschenrechten, mehr Vergewaltigungen geben. Was wir jetzt brauchen, ist eine Einflussnahme von außen im Sinne der Forderungen der sudanesischen Menschen.

Welche Rolle spielen besonders die Frauen in dieser Situation?

Ich kann von meiner Beteiligung an der Frauenbewegung seit 40 Jahren im Sudan sagen, dass die sudanesischen Frauen starke Kämpferinnen sind. Sie kämpfen um ihre Rechte und sie kämpfen nicht nur als Feministinnen. Sie kämpfen einen politischen Kampf. Schon in den dreißiger Jahren waren Frauen aktiv für ihre Rechte. Dann nach 1946 organisierten sie sich öffentlich und kamen auch in das Parlament. Deshalb gibt es ein hohes politisches Bewusstsein in der Frauenbewegung im Sudan. Das bisherige Regime wusste das und machte deshalb die schreckliche Gesetzgebung mit der Shari‘a um die Frauen zu unterdrücken. Das Gesetz für öffentliche Ordnung, die Familiengesetzgebung, das Strafgesetz. Mehr als fünf Artikel verletzen die Rechte und die Ehre von Frauen. Deshalb wurde dieses Regime von Beginn an von der Frauenbewegung bekämpft. Die Frauen haben sich auch in inoffiziellen Gruppen immer wieder organisiert. Als jetzt diese Revolution begann waren sie deshalb gut vorbereitet. Es gibt so viel Frauenorganisationen und Frauengruppen mit verschiedenen Mandaten. Aber alle fordern politische und zivile Rechte für Frauen als Priorität.

 Einige Organisationen arbeiten für Menschenrechte, andere engagieren sich gegen schädliche Traditionen wie Geschlechtsverstümmelung, Kinderheirat u.a.m. Aber insgesamt stehen sie zusammen, um für die Rechte von Frauen zu kämpfen. Viele zivilgesellschaftliche Gruppen haben sich jetzt zusammengetan, um als eine gemeinsame Organisation zu kämpfen. Es gibt jetzt eine Dachorganisation für politische und zivilgesellschaftliche Frauengruppen, in der alle zusammengefasst sind. Ich selbst gehöre zu den Gründerinnen dieser Organisation. Die Gruppen sind vereint, um gegen dieses Regime zu kämpfen. In Facebook kann man z.B. sehen, wie viele Gruppierungen es gibt. Es gibt z.B. die Young Women Coalition, Young Women for Future etc. Diese Gruppen haben Tausende Mitglieder. Alle Gruppen sind jetzt in dem Bündnis Freiheit und Wandel. Und es gibt die große Gewerkschaft der Sudanesischen Frauen. Es gibt die Gewerkschaft der Frauen die Tee und Speisen verkaufen. Mit diesen Organisationen nehmen die Frauen an der Revolution teil. Laut Statistik sind 70% der Protestierenden Frauen. Auf den Bildern von den Demonstrationen kann man das deutlich sehen.

Was ist der historische Hintergrund für diese starke Beteiligung der Frauen?

Die Frauen haben der Prozess sich zu organisieren bereits vor vielen Jahren begonnen. Sie wissen, wie sie protestieren wollen, wie sie sich gegenseitig unterstützen können, wie sie sich schützen können etc. Ich glaube, dass ist ziemlich einzigartig. Deshalb sind sie auch im Visier des Militärs. Sie werden sie zu Tausenden geschlagen, vergewaltigt, verhaftet. 500 sind noch im Gefängnis. In dieser kritischen Situation, die am 3.Juni bei der gewaltsamen Räumung des Sit-in Lagers entstand, wurden hunderte von Frauen getötet, verletzt und vergewaltigt. Wir haben eine Statistik von dem Ärztekomitee, die besagt, dass sie 1080 Frauen behandelt haben, die vergewaltigt wurden. Sie töteten so viele Menschen und warfen sie in den Nil. Dort fand man ihre Körper. Viele wurden verhaftet von denen man nicht weiß, wo sie sind. Der Militärrat ist daran beteiligt. Beim Verhaften, Kidnappen, Entführen vergewaltigen sie Frauen vor allen Menschen auf der Straße. Das macht die Leute verrückt. Wie du weißt, ist Vergewaltigung das Schlimmste, was jemandem passieren kann.

Wird es keine Gegengewalt geben?

Das Militär hat Männer und Frauen vergewaltigt, auch für Männer ist es schlimm. Aber sie tun das mit Frauen vor allem, um die Familien zu treffen und dafür zu sorgen, dass den Frauen verboten wird, sich an Demonstrationen zu beteiligen. Sie wollen die sudanesische Community zwingen den Militärrat dadurch zu akzeptieren, wenn die Menschen jetzt fühlen, dass sie jederzeit auch in ihren Häuser überfallen werden können, dass es keine Sicherheit für ihre Frauen gibt etc. Niemand kann sich mehr sicher fühlen. Sie wollen die Sudanesen auch zwingen, selbst gewalttätig zu werden. Aber die wollen das nicht. Wenn sie anfangen werden die Gewalt mit Gewalt zu bekämpfen, wird es wie in Syrien sein. Die Sudanesen wissen sehr wohl, dass Gewaltlosigkeit ein starkes Mittel ist und einen Wandel herbeiführen kann. Deshalb halten sie dagegen, obwohl es sehr schwierig ist, gewaltlos zu bleiben, wenn du weißt, dass du getötet werden wirst.

Was können wir in Deutschland jetzt tun als Individuen, aber auch als Organisationen, um den Sudan und die sudanesischen Frauen zu unterstützen?

Für alle Organisationen, Einzelpersonen, wen auch immer, gilt: wenn sie den Frauen helfen, helfen sie automatisch den Gemeinden. Frauen sind Töchter, Schwestern, Mütter. Deshalb hilft jeder Unterstützung der Frauen auch der Gemeinschaft. Sie können die Sicherheit der Gemeinschaft schützen. Viele Dinge können getan werden. Z.B. haben sie das Internet unterbrochen, sodass niemand weiß, was passiert. Und wenn die internationale Community weiß, was im Sudan vor sich geht, sind das 50% Schutz für die Menschen in Sudan. Denn jeder hat Angst, dass er/sie eines Tages für das begangene Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Wir brauchen deshalb eine starke Solidarität auch für das Internet im Sudan.

Welche Bedeutung hat die Position der Europäischen Union?

Wir brauchen mehr Druck auf den Militärrat, indem jede Unterstützung für ihn verweigert wird. Die EU hat einen sehr großen Fehler gemacht, indem sie die Milizen von Hemedti unterstützt hat. Wie kann man einem kriminellen Killer und Milizenführer Geld geben, um zu helfen, die illegale Migration aus Afrika nach Europa zu stoppen.!! Hemedti bekam Geld von der EU, um moderne, hoch entwickelte Waffen zu kaufen. Aber anstatt die illegale Migration zu stoppen, fangen sie Frauen aus Eritrea, die versuchen nach Europa zu kommen, vergewaltigen sie und fordern Geld von ihren Familien. Wenn sie nicht zahlen, und das beginnt mit 10 Tsd Dollar, lassen sie die Frauen nicht los. Manchmal töten sie sie, auch wenn sie das Geld haben. Wenn diese Frauen schließlich Europa erreichen, haben die Milizen nicht getan, was sie versprachen, sie haben Europa betrogen. Für uns ist das ganz klar. Wie kann man einem Killer vertrauen? Wie kann man einem Regime trauen, dass einen Vertrag respektiert? Jeder Geldtransfer an den Militärrat muss gestoppt werden. Diese Leute unterdrücken die Sudanesinnen und Sudanesen. Sie stehlen alles und sind korrupt. Und die EU weiß das!

Wenn man die illegale Migration stoppen will, dann kann man nur mit einer demokratischen Regierung verhandeln. Der Sudan ist ein reiches Land, wir haben viele Ressourcen. Wenn die Menschen mit einem guten Gesundheitssystem, guter Bildung, ausreichend Nahrung etc. versorgt werden, müssen sie nicht fliehen. Wenn der Sudan ein stabiles Land ist, kann er sogar den Nachbarländern helfen! Deshalb ist es vernünftig nur einen demokratischen Sudan zu unterstützen. Damit würde auch automatisch die illegale Migration nach Europa durch den Sudan gestoppt werden.


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